Mit einem halben Plattfuß zu WM-Silber.

OTZ Gera / Andreas Rabel

26. Sep 2024

Vizeweltmeister Leon Brunnert mit seinem Trainer Karl Ammon. (Foto: Andreas Rabel)
Vizeweltmeister Leon Brunnert mit seinem Trainer Karl Ammon. (Foto: Andreas Rabel)

Leon Brunnert macht als jüngster WM-Starter im Sprint der Elite sein Meisterstück, stellt sich beim Punktefahren in den Dienst der Mannschaft – und alles begann beim SSV Gera.

Selbst ein „Plattfuß“ konnte ihn nicht stoppen. Radsportler Leon Brunnert holte sich bei den Weltmeisterschaften der Gehörlosen im polnischen Swietokrzyskie die Silbermedaille im Sprint.

Mit seinen 16 Jahren war der Geraer der Youngster im Team des Deutschen Gehörlosen-Verbandes, startete bei seinen ersten großen internationalen Meisterschaften in der Elite, setzte sich gegen deutlich ältere und erfahrenere Athleten durch.

Vor jedem Sprint der Ruf nach dem Mechaniker.

Los ging die WM-Woche mit der Sprint-Qualifikation über 200 Meter. Oh Schreck! Leon bemerkte, dass er einen Halbplatten hatte, rief laut nach dem Mechaniker: „Hol die Pumpe! Ich glaub‘ mein Reifen hat wenig Druck.“ Bei jedem Start musste der Reifen wieder aufgepumpt werden – nervenaufreibend. Und dennoch blieb er nach der Qualifikation im Rennen, musste aber einige Läufe mehr absolvieren, ehe es über das Viertel- und Halbfinale in den Endlauf ging. „Da hatte ich dann aber ordentlich Druck auf dem Reifen. Im Finale hatte ich dann aber das Nachsehen“, sagt er.

Die Taktik-Vorgaben des Trainers perfekt umgesetzt.

WM-Silber, viel mehr als er erwarten konnte als WM-Debütant und Youngster. „Ich habe die Taktik, die mir Trainer Benjamin Hill aufgegeben hat, genau verfolgt“, berichtet er. Vom Start weg sei er am Hinterrad des Kontrahenten geblieben und kurz vor der Wende, der scharfe Antritt, die Kurve eng genommen und ein Loch gerissen, berichtet er. Der Lohn: WM-Silber in der ersten Entscheidung.

Karl Ammon der Trainer beim SSV Gera seit rund eineinhalb Jahren.

Trainer beim SSV Gera seit rund eineinhalb Jahren: Karl Ammon. „Leon ist ein ehrgeiziger Sportler, er will etwas er­rei­chen“, sagt der 26-Jährige und erzählt, wie sie in der un­mit­tel­ba­ren Wettkampfvorbereitung noch einen draufsetzen konnten. Der Verein hat ein Derny angeschafft. Der Trainer gab auf Gas auf dem Geraer Zementoval und sein Schützling folgte in hohem Tempo. . „Ein gutes Training, um die Tempohärte zu schulen“, sagt Karl Ammon.

Mehrfacher deutscher Meister war Leon Brunnert schon, nun die WM in Polen. Das Zeitfahren über 27 Kilometer beendete er als Elfter und im Punktefahren stellte er sich in den Dienst der Mannschaft, ackerte, fuhr Löcher zu, opferte sich auf. „Radsport ist Teamsport“, sagt er kurz und bündig, bekam viel Lob für seine engagierte Fahrweise vom Bundestrainer Benjamin Hill. Seine Teamgefährten Felix Wahala und Max Jehle holten am Ende Silber und Bronze. Im Straßenrennen über 120 Kilometer waren alle platt, bemängelten die Trainer Abstimmungsprobleme unter den Rennern. Kein Wunder: Das Team wurde frisch zu­sam­men­ge­stellt – mit Blick auf die nächsten internationalen Aufgaben.

Anfänge liegen in der Schul-AG, jetzt sechsmal in der Woche zum Training.

Wer hätte das gedacht, als er über die Schul-AG des Vereins zum Radsport fand. Leon kann die Geräusche und die Sprache nur mit einem Hörgerät aufnehmen, das als Implantat im Ohr sitzt. Eigentlich keine guten Voraussetzungen für den Straßen­rennsport, doch er ließ sich nicht abhalten. Radsport ist das, was er machen möchte – irgendwie schon immer, wie er sagte. Deutscher Jugendmeister bei den Gehörlosen ist er mehrfach. Sechsmal in der Woche trainiert er, kommt 16 Uhr von der Schule, pustet kurz durch und schwingt sich aufs Rennrad. Meist trainiert er allein, das störe ihn nicht. Ihm sieht man seine Freude an, wenn er auf sein Rennrad schaut und über seinen Sport berichtet. Ein großes Vorbild hat er auch: Bahnrad-Ass Robert Förstemann aus Gera.

Der Traum vom eigenen Rad-Laden.

Und er weiß auch schon ziemlich genau, was er will. Sportlich gesehen sowieso und auch beruflich. Realschulabschluss, Lehre als Zweiradmechatroniker, Arbeiten, Erfahrungen sammeln und einmal einen eigenen Rad-Laden eröffnen. Als er noch neu war, beim SSV Gera, da war es auch Neuland für die Trainer, einen Jungen mit Handicap ins Training zu integrieren. Vor der Trai­nings­fahrt bekam er Order wie alle anderen auch in der Trai­nings­grup­pe und unterwegs funktioniert es am besten mit Hand­zeichen. Trainerin Heike Schramm hob die Hand für Achtung oder trippelte mit den Fingern – also Tempo machen. Gang hoch­schalten. „Leon hat sich schnell in den Radsport gefunden“, sagt Heike Schramm. Und der Vizeweltmeister sagt: „Das ist sehr schön, zu erleben, wie ich unterstützt werde. Das ist beim Gehörlosen Sport- und Bürgerverein Halle so und natürlich beim SSV Gera, wo ich so einen tollen Trainer habe. Ich sehe das nicht als selbstverständlich an und bin sehr dankbar.“ (OTZ/A.Rabel) ­


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