Als Olaf Ludwig in den Boxring stieg.

OTZ Gera / Andreas Rabel

14. Nov 2023

Der Rad-Olympiasieger erinnert sich an seine Zeit bei der SG Wismut Gera. Im Dezember feiern die Ehemaligen die Gründung vor 50 Jahren.

Am 29. November 1973 wurde die SG Wismut Gera gegründet. Der SC Motor Jena war als Sportklub längst etabliert und erfolgreich. 1973 hatte dann auch die Bezirksstadt ein Leistungs­zentrum mit den Sektionen Radsport und Boxen. 50 Jahre ist es fast her.

„Ich bin Gründungsmitglied“, sagt Olaf Ludwig nicht ohne Stolz. Für den späteren Olympiasieger und Radprofi war die SG-Gründung ein Glücksfall. Der damals 13-Jährige fuhr seine ersten Rennen für die SG Dynamo Gera-Mitte, die besten Renner jener Jahre wurden zum Dynamo-Leistungszentrum nach Berlin delegiert, doch das kam für Olaf Ludwig nicht in Frage. „Meine Eltern hätten mich nie und nimmer nach Berlin gelassen. Und ins Internat durfte ich auch nicht“, erinnert sich der 63-Jährige.

Werner Marschner, der vom SC Karl-Marx-Stadt zur SG Wismut gewechselt war, saß im Ludwig’schen Elternhaus in Thieschitz auf dem Sofa und warb um Sportler, hatte auch ein Auge auf den schmächtigen Jungen geworfen. Sein Satz: „Das beste Internat ersetzt nicht ein gutes Elternhaus“, klingt Olaf Ludwig noch heute in den Ohren. Nicht, dass er nicht gern zu Hause gewesen wäre, „doch ich hab‘ mir dann von den anderen immer anhören müssen, was sie angestellt, was sie erlebt hatten.“

Olaf Ludwig der Außenschläfer. „Doch es hatte auch was Gutes“, sagt er. Trainer Werner Marschner sah es nicht gern, wenn seine Sportler ausgingen, Freundinnen hatten. „Ich musste mich sogar verpflichten, bis zu den Olympischen Spielen 1980 keine Freundin zu haben.“ Heute undenkbar und auch damals schon das Papier nicht wert. Ein Jahr vor Olympia in Moskau wurde er das erste Mal Vater, musste das seinem Trainer beibringen. „Masche hat gelacht und gemeint: Das Kind kriegen wir schon groß.“ Werner Marschner, der Trainer, der Pädagoge, doch aus heutiger Sicht auch mit kruder Ansichten – es war eine andere Zeit und eine erfolgreiche. Robby Gerlach, Thomas Barth und Olaf Ludwig wurden 1977 Junioren-Weltmeister. Gerald Mortag holte mit dem Bahn-Vierer im gleichen Jahr seinen ersten von drei WM-Titeln. Lutz Haueisen, ebenfalls vom ersten Radsport-Jahrgang der SG Wismut, wurde 1981 Weltmeister im Punktefahren, ein weiter WM-Titel folgte.

„Wir waren ein kleines Leistungszentrum, aber sehr erfolgreich. Radsportler wie Boxer“, sagt Olaf Ludwig. Er sei den Boxern immer mit dem größten Respekt entgegengetreten. „Nach der Schule schwangen wir uns auf die Rennräder, um zu trainieren. Ein Barkas hat die Boxer zum Training gefahren. Wir haben einmal trainiert am Tag, die Boxer zwei- oder dreimal. Ich hätte mir das nicht vorstellen können, dreimal am Tag zu duschen“, sagt er und lacht. Als er als DHfK-Student in den Ring kletterte, da wusste auch Olaf Ludwig aus eigener Erfahrung, was es heißt, Boxer zu sein.

„Zweikampfsportarten waren Teil der Ausbildung. Ringen, Judo und Boxen standen zur Wahl, da musste ich nicht lange überlegen. Boxen war eine Sportart im Klub und ich hab‘ zu Hause heimlich Profiboxen geschaut, die Kämpfe von Muhammad Ali waren der Hammer.“ So ganz genau weiß er nicht mehr, wie er sich im Ring anstellte, die dreimal eine Minute Kampfzeit überstand. Am Sandsack traf er trefflich, „doch im Ring hab‘ ich keinen Treffer gesetzt, die Technik und das Gefühl für die Distanz haben mir gefehlt. Eine Erfahrung, dich ich nicht missen möchte, war es dennoch.“

Friedensfahrt-Siege, Olympiagold 1988 in Seoul. Olaf Ludwig der erfolgreiche Amateur-Rennfahrer, doch in der DDR standen die Zeichen auf Veränderung, die Mauer fiel. Praktisch über Nacht bot sich die Chance, Profi zu werden, die Tour de France vielleicht nicht mehr nur am Bildschirm verfolgen zu müssen.

Am 28. Dezember 1989 fuhr der Geraer nach Nürnberg, um einen Fax-Vertrag für das holländische Panasonic-Team zu unter­schreiben, er hatte vor, Trainer und Verantwortliche der SG Wismut am nächsten Tag von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.

Doch als er um Mitternacht in der langen Auto-Schlange am Grenz­über­gang im Radio hörte, „und wieder ist ein bekannter DDR-Radsportler dem Lockruf des Geldes gefolgt“, da traute er seinen Ohren nicht. „Am nächsten Tag hat mich nicht nur der Pförtner schief angeguckt“, erinnert er sich. Und die Zeitung „Junge Welt“ druckte Anfang des neuen Jahres auf einer weißen Seite die Namen der Fußballer und Radsportler ab, die fortan für den Westen starten wollten. „Eine verrückte Zeit“, sagt er und seine Zeit bei der SG Wismut war mit einem Schlag vorbei, „obwohl ich eine Inventarnummer hatte“, wie er sagt.

Am 8. Dezember treffen sich die Ehemaligen in Gera im Club-Zentrum „Comma“, um 50 Jahre SG Wismut zu feiern. „Ich freue mich drauf, bin gespannt, wer alles kommt. Gut möglich, dass mich einige mehr kennen, als ich sie“, sagt er und lacht – doch es soll Namensschilder geben. Eine gute Idee. (OTZ/A.Rabel)


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