Radrennbahn in Gera: Sterben auf Raten.

MDR Thüringen / Franziska Heymann

14. Okt 2023

Die Radrennbahn in Gera wird nur noch provisorisch zusammengehalten.
Die Radrennbahn in Gera wird nur noch provisorisch zusammengehalten.

Fast 25 Jahre ist es her, da wurde in Gera klar: Die Radrennbahn muss saniert werden. Passiert ist seitdem nichts. Pläne wurden geschmiedet und verworfen, warme Worte gesprochen. Nun graut den Verantwortlichen des Radsportvereins vor dem Winter: Harter Frost könnte der Bahn endgültig den Garaus machen.

Es rattert. Fährt da etwa ein Zug über Gleise? Nein. Rund 20 Rennräder rauschen über die Nordkurve der Geraer Radrennbahn. "Das klappert wie eine Eisenbahn", sagt Christian Magiera, Mitglied beim Stadtsportverein (SSV) Gera und Kommissär beim Radsport-Weltverband UCI.

Er klopft die mehr als 60 Jahre alte Betonbahn ab. "Da sind Hohlräume unter den Platten. Beinahe die ganze Kurve ist ersetzt worden, da ist fast nichts mehr im Original. Immer, wenn im Winter Wasser reinfließt - gefriert - auftaut - gefriert - auftaut, gehen die Risse wieder auf und müssen repariert werden."

Gera: Buckelpiste Radrennbahn

Bereits vor dem Winteranfang sind jetzt schon wieder daumendicke Risse im Beton. Jeder, der schon einmal mit dem Fahrrad in Straßenbahnschienen geraten ist, weiß, wie das enden kann: mit einem schmerzhaften Sturz. Und dabei sind wohl die wenigsten Radfahrer in der Stadt mit 60 oder gar 85 Kilometern pro Stunde unterwegs.

Nach einem schweren Sturz bei der Deutschen Meisterschaft 2003 zog der SSV die Reißleine: Wettkämpfe für Jugendliche über 17 Jahren und Erwachsene werden nicht mehr ausgetragen. Denn bei Geschwindigkeiten bis 85 km/h werde es kritisch auf dieser Buckelpiste, sagt Magiera.

Die Reparaturen kosten den Verein jedes Frühjahr zwei bis drei Monate Trainingszeit auf der Bahn. Allein in diesem Jahr wurde die Radrennbahn für rund 20.000 Euro instand gehalten - dafür ist der Verein dem kommunalen Immobilienbewirtschafter Elstertal Infraprojekt auch sehr dankbar. "Wenn wir Probleme haben, kümmern die sich", sagt Vereinsgeschäftsführer Reinhard Schulze.

Doch eine komplette Sanierung ist so natürlich nicht möglich, schließlich sind die Frostrisse nicht das einzige Problem. Christian Magiera ist im technischen Ausschuss des UCI und kann sehr lange und sehr ausführlich die Mängel der Geraer Bahn auflisten.

Zulässige Lücken: Fünf Zentimeter statt fünf Millimeter

So erlaubt der Radsport-Weltverband gerade einmal fünf Millimeter Höhenunterschied auf zwei Metern Länge oder Breite bei einer Rennbahn. Als Magiera in die Hocke geht und auf die verschobenen Bodenplatten zeigt, gehen seine Finger deutlich weiter auseinander: "Wir haben hier bis zu sieben Zentimeter Höhenunterschied."

Zwar werde der Unterschied jedes Frühjahr ausgeglichen - aber irgendwann könnten die Betonplatten nicht mehr geschliffen werden, weil sie zu dünn würden, so Magiera.

Dazu kommen zahlreiche grün-braune Flecken auf der 250 Meter langen Bahn. Einst war dort Epoxidharz aufgetragen, aber das ist lange weg. Nun wächst Moos. Trocknet eine Bahn nach Regen normalerweise innerhalb von 30 Minuten ab, dauert es in Gera bis zu zweieinhalb Stunden. "Da ist ein Wettkampftag schnell vorbei", erklärt das Jurymitglied des Weltverbands mit grimmigem Blick.

Und die Steinchen auf dem blauen Bahnbelag am unteren Ende sind auch kein gutes Zeichen: Die Betonbahn krümelt langsam auseinander.

Holzsplitter und blühende Landschaften

Während es im Innenraum überhaupt gar keine Bande zur Absicherung bei Stürzen gibt - laut Magiera ist das so gar nicht UCI-konform - wartet das nächste Ärgernis am oberen Ende des Ovals. Ein fingerlanger Holzsplitter hebt sich ab. Viele Holzlatten der Bande wurden im Frühsommer bereits erneuert, nachdem die Bahn wegen der morschen Bretter sogar zeitweise für Massenstarts gesperrt wurde.

Gleich hinter der Holzbande: wackelnde Steine unter blühenden Landschaften auf der Tribüne. Blaue Masten ragen wie erhobene Zeigefinger in die Luft: Einst war dort die Beschallungsanlage angebracht. Auch die Lichtmasten funktionieren nicht mehr.

Christian Magiera ist für den Weltradsportverband UCI weltweit im Einsatz. Er sagt: Die Lücke zwischen dem Zustand der Bahn und den Leistungen der Sportler ist nirgendwo so groß wie beim SSV Gera. Mehr als zehn nationale und internationale Medaillen haben die Sportler in diesem Jahr trotz der schwierigen Bedingungen gesammelt, Stella Müller wurde im vergangen Jahr gar Juniorenweltmeisterin.

Als einziger Verein in Deutschland bietet Gera laut Reinhard Schulze Trainingsgruppen für die Altersklassen U7 und U9 - und benötigt die Bahn dringend, um den Heranwachsenden sichere Trainingsbedingungen für schnelle Sprints und Taktiktraining bieten zu können.

Viele Worte, nichts passiert

"Radrennbahnen können kaputtgehen. Das Problem ist, dass wir seit 24,5 Jahren mit der Stadtverwaltung diskutieren, dass hier eine Sanierung notwendig ist. Und es bleibt bei den Worten", ärgert sich der UCI-Kommissär. Über die Jahre gab es in Gera immer wieder Pläne für eine neue Radrennbahn. Unter anderem die futuristische GeraArena aus dem Jahr 2012 wurde ein Jahr später wegen Geldmangel verworfen. Und auch seit dem Sportentwicklungsplan 2021 geht es nur schleppend voran.

Im Gespräch mit Bauamtsleiter Michael Sonntag ist oft zu hören, warum Dinge nicht oder nur langsam vorangehen. Es sei schwierig, Planungen voranzutreiben mit dem wenigen Personal und angesichts der vielen Aufgaben wie maroden Schulen und Turnhallen, Brücken oder kommunalen Gebäuden. Die Ursache der Risse müsste geklärt werden: Setzt sich der Boden oder sind es Spannungsrisse wegen der Temperaturunterschiede? Ist der Untergrund tragfähig?

Als haushaltssichernde Kommune brauche es Fördermittel vom Land, erklärt Sonntag. Nötig seien auch Abstimmungen mit dem Verein, um zu klären, was notwendig sei: "Wir brauchen erstmal ein ordentliches Projekt, was wir auch einreichen wollen. Dazu braucht man verlässliche Kosten. Und wir müssen auch nachweisen, dass wir die Eigenmittel im Haushalt stehen haben. Und das ist natürlich auch Aufgabe des Stadtrates, da Prioritäten zu setzen."

Sportausschuss macht Druck

Die Vorsitzende des Sportausschusses des Geraer Stadtrats, Sandra Raatz, kann da nur noch die Augen rollen. "Ein Verwaltungsteil schiebt die Verantwortung auf den anderen. Dann hat der Oberbürgermeister die Federführung ans Baudezernat übergeben. Jetzt fehlt so ein bisschen die Kontrolle. Wir machen Druck, wir wünschen Umsetzung", erklärt Raatz.

Alle zwei Monate will der Sportausschuss vom Baudezernat hören, wie es mit der Radrennbahn vorangeht. Für das Bodengutachten stünden seit März 2022 50.000 Euro im Haushalt der klammen Kommune parat. Beauftragt wurde es noch nicht.

An der Prioritätensetzung liegt es laut Raatz nicht. Die Radrennbahn steht laut Sportentwicklungsplan aus dem Jahr 2021 an erster Stelle bei den nichtschulischen Sportstätten. Immer wieder fordert der Sportausschuss einen Zeitplan für die Sanierung.

Auch im Verein kann man das zögernde Handeln der Stadtverwaltung nicht nachvollziehen. Geschäftsführer Schulze und Technikexperte Magiera erinnern sich: Mitte der 2000er-Jahre gab es schon mal ein Gutachten, Bohrlöcher in der Bahn zeugen davon. Was damals rauskam, weiß niemand.

Sie sagen: 2007 hatte die Stadtverwaltung ermittelt, dass es 2012 mit der Radrennbahn zu Ende geht, sie dann nicht mehr nutzbar ist. "Das sind über elf Jahre, in denen nichts passiert ist, obwohl die Stadtverwaltung von den Problemen weiß. Die Bahn ist nur noch befahrbar dank einigermaßen milder Winter", schimpft Magiera.

Was kostet eine neue Rennbahn?

Auch die Wünsche des Vereins seien der Stadt schon mehrfach mitgeteilt worden, Unterlagen wurden den Angaben nach teils mehrfach verschickt. Laut Weltverband UCI kostet eine neu gebaute Rennbahnhalle mit Dach etwa drei Millionen Euro.

Ein weltweit anerkannter Rennbahnexperte hat sich die Geraer Bahn zweimal angeschaut und festgestellt: Man könnte die Bahn mit einem witterungsbeständigen Holzbelag überbauen. Das würde etwa 1,3 Millionen Euro kosten, sagt Magiera und schüttelt den Kopf über die Stadt, die uralte Baupläne auf heutige Baupreise hochgerechnet hat. Bei knapp 19 Millionen Euro sei da natürlich die Absage gekommen.

Vertreter der Stadt hatten sich zuletzt eine Bahn in Forst in Brandenburg angeschaut, die aktuell mit Beton überbaut wird. Im Gespräch mit Sonntag klingt durch, dass diese Bahn nun das Vorbild für die Sanierung in Gera zu sein scheint - auch wenn Betonbahnen nicht mehr unbedingt den Anforderungen an eine moderne Radrennbahn entsprechen, heißt es vom Verein. Doch Hauptsache, es geht voran.

Gutachten noch in diesem Jahr

Immerhin sichert Bauamtschef Sonntag zu, dass noch in diesem Jahr ein Gutachten für die Bodenuntersuchung in Auftrag gegeben werden soll. Nachfragen nach einem möglichen Baustart weicht er aus und verweist auf die nötigen Mittel im Haushalt ("Der Stadtrat muss Prioritäten setzen.") und Fördermittel des Landes.

Im Geraer Haushalt fürs Jahr 2024 ist die Radrennbahn allerdings (noch) nicht eingeplant - aktuell müssen die Dezernate jedoch zehn Millionen Euro zusammenstreichen, um eine schwarze Null zu erreichen.

Und auch Fördermittel wurden zuletzt nicht mehr beim Land angefragt. Im Jahr 2000 hatte Gera den Angaben nach 46.000 Euro für eine Oberflächensanierung vom Land ausgezahlt bekommen. Das Thüringer Sportministerium teilt auf Nachfrage mit, dass Gera zuletzt im Jahr 2004 Fördermittel für eine Sanierung angemeldet hatte, für einen Neubau zwischen 2007 und 2010. Mit Blick auf den damals neu gebauten Bahnrad-Bundesstützpunkt in Erfurt wurden diese Anfragen abgelehnt.

Fördermittel fraglich

Da Gera kein Bundesstützpunkt ist, ist nicht mal sicher, ob die Stadt überhaupt Fördermittel erhält - das hängt davon ab, wie hoch die verfügbare Fördersumme ist und wie die Radrennbahn in einem Prioritätenkatalog eingeordnet werden würde.

Ohne offizielle Anmeldung ist damit vieles ungewiss. Die Frist für die Anmeldung von Fördermitteln für 2024 ist bereits abgelaufen, ein Baubeginn vor 2025 oder 2026 damit mehr als unwahrscheinlich. Sonntag erklärte im Interview mit MDR THÜRINGEN auf die Frage, was passiert, wenn die Bahn nach dem nächsten Winter auseinanderfällt: "Dann müssen wir sie reparieren. Ich gehe nicht davon aus, dass sie nicht mehr nutzbar ist."

Weil die ersten Pläne für eine Sanierung bereits 1999 auftauchten, könnte der SSV Gera im kommenden Jahr ein trauriges Jubiläum feiern: 25 Jahre Nichtsanierung Radrennbahn. (Franziska Heymann, MDR Thüringen)


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