Sechzig gegen einen bei 36 Grad.
OTZ Gera / Andreas Rabel
08. Jul 2022
- Gabriel Grozev mit dem Bundesliga-Wertungstrikot für den jüngsten Jahrgang in der U23-Klasse. Am Freitag startet er in die U23-EM in Portugal. (Foto: A.Rabel)
Wie es Radtalent Gabriel Grozev schafft, bulgarischer Meister zu werden und was es mit den WM-Rädern von Hanka Kupfernagel auf sich hat.
Das war Hilfe auf den letzten Drücker. Radtalent Gabriel Grozev wollte bei den Deutschen U23-Meisterschaften in Marsberg seine großen Fortschritte unter Beweis stellen, doch ohne konkurrenzfähiges Material – keine Chance. Das Problem. Das Zeitfahrrad sollte mit einem 55er-Blatt bestückt sein, um den kraftvollen Tritt auch in Vortrieb umsetzen zu können.
Was tun? Roman Jördens und das Fahrradfachgeschäft Radwelt in Gera halfen. Der Lebensgefährte von Hanka Kupfernagel zerlegte für Gabriel Grozev zwei ihrer Räder und fertigte aus den Komponenten ein wettbewerbsfähiges Rad für den 19-Jährigen. Am Rande: Es waren nicht irgendwelche Räder. Hanka Kupfernagel saß bei ihren WM-Siegen im Sattel.
Für einen Paukenschlag gesorgt
Bepackt mit einem Straßen- und dem Zeitfahrrad machte sich Gabriel Grozev auf den Weg in Richtung Sauerland zu den Deutschen Meisterschaften. „Der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt Bernd Herrmann, der den jungen Bulgaren seit Jahren betreut. Mit Platz zehn auf dem 27-Kilometer-Kurs sorgte sein Schützling, der für das Leipziger Amateurteam „SchnelleStelle.de“ startet, für einen Paukenschlag. Als Fahrer des jüngsten U23-Jahrgangs platzierte er sich somit hervorragend. Vor ihm durchweg ältere Renner, die schon als Profis unterwegs sind oder bei Kontinental-Teams unter Vertrag stehen.
Noch am Freitag nach dem Rennen machte er sich mit dem Bus auf zum Flughafen nach Berlin, um nach Plovdiv zu fliegen, um an den bulgarischen Meisterschaften mit dem Ziel Sieg und EM-Qualifikation teilzunehmen. Schon vor Ort Bernd Herrmann, der sich um alles kümmerte, seinem Schützling, der in Gera bei ihm zu Hause auch wohnt, den Rücken freizuhalten.
Reise war eng getaktet
„Die Leistung von den Deutschen Meisterschaften hatte schon die Runde gemacht. Und ehrlich. Ich war froh, als er da war. Die Reise war eng getaktet. Koffer, zwei Räder mit Bahn. Bus, Taxi und Flieger. Hut ab“, sagt Bernd Herrmann, Vizepräsident des SSV Gera.
Sonnabend mal die Beine hochlegen. Sonntag Start des U23-Rennens um die bulgarische Meisterschaft. „Sechzig gegen einen über 155 Kilometer bei 36 Grad, so lässt sich das Rennen beschreiben. Seine Landsleute wollten ihm zeigen: So gut bist du nun auch wieder nicht.“ Eine Fehleinschätzung.
Gabriel Grozev startete eine Attacke nach der anderen, einer ging immer mit. Vor dem letzten, vier Kilometer langen Anstieg deutete Herrmann an: Jetzt oder nie! Alles auf eine Karte – ein guter Sprinter ist der 19-Jährige nicht. Kurz vor der Kuppe hatte er den letzten Begleiter abgeschüttelt und kam mit einer Minute Vorsprung ins Ziel. Meistertrikot und Nominierung für die U23-EM in Portugal auf der Straße und im Zeitfahren.
Nächster Schritt auf dem Weg zum Radprofi
„Gabriel hat sich einen Namen gemacht, sich den Respekt, den er verdient, hart erarbeitet“, sagt Bernd Herrmann. Angebote für den Aufstieg in ein KT-Team liegen vor. Der 19-Jährige kann den nächsten Schritt gehen auf seinem Weg zum Radprofi. Er lebt seinen Lebenstraum. Und so kam es nicht von ungefähr, dass er in Plovdiv vor 300 Zuhörern seinen Weg von Bulgarien nach Deutschland, seine Motivation für den Radsport und seinen Bildungsweg in Gera schilderte.
Am Ende seiner Ausführungen: Standing Ovations. Der Vortrag war Teil der Abschlussveranstaltung des Erasmus+-Projekts „Sportspeople Education and Training 4 Dual Career“. Der SSV Gera war neben Vereinen aus Schweden, Irland, Griechenland und Bulgarien Teil des von der EU geförderten Ausbildungsprogramms, das coronabedingt über zweieinhalb Jahre lief.
Sport und Ausbildung vereinen
„Im Kern geht es darum, zu erforschen und zu dokumentieren, wie es gelingen kann, Nachwuchssportler in ein duales System einzubinden, Sport und Ausbildung zu vereinen. Gabriel ist das beste Beispiel dafür“, sagt Bernd Herrmann, der ebenfalls ans Rednerpult schritt und einen viel beachteten Vortrag hielt, der mit einer Einladung vom bulgarischen Radsportverband endete. „Gern werde ich der Bitte nachkommen und unsere Erfahrungen weitergeben.“
Die nächste Reise nach Bulgarien ist also programmiert, wieder eine Gelegenheit, Nako Georgiev zu besuchen, praktisch Gabriel Grozevs Radsport-Vorgänger in Gera, der seinen Weg gegangen ist, inzwischen als Mediziner für die Leistungsdiagnostik der Sportler am Stützpunkt Plovdiv verantwortlich zeichnet. (OTZ/A.Rabel)
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