Heimat Verein

OTZ Gera / Andreas Rabel

08. Dez 2018

Reinhard Schulze, in seinem zweiten Zuhause, der Radrennbahn Gera. (Foto: Peter Michaelis)
Reinhard Schulze, in seinem zweiten Zuhause, der Radrennbahn Gera. (Foto: Peter Michaelis)



Reinhard Schulze erzählt, wie er zur SG Wismut Gera fand, wie er beim Qualiturnier in Cottbus ins Schwitzen kam und warum es immer schmerzt, dass die Boxer aus dem SSV Gera ausgetreten sind und warum Ostthüringen Tour und Apres Tour Gera sich perfekt ergänzen.


Gestern haben Sie einen kleinen Empfang gegeben – an der Radrennbahn. Sie sind ein Vierteljahrhundert Geschäftsführer des SSV 1990 Gera.

Ein Vierteljahrhundert. Wie das klingt. In der Rückschau betrachtet, muss ich sagen, die 25 Jahre sind schnell vergangen. Das liegt sicher auch daran, dass ich diese Aufgabe gern mache, dass es ein gutes Miteinander mit den Trainern und dem Präsidium gibt.

Als Geschäftsführer sind Sie für das Organisatorische zuständig. Verantworten aber auch die Finanzen. Schon mal schlaflose Nächte gehabt?

Ja, auch. Ich habe dem Verein auch schon mal privates Geld als Darlehen vorgeschossen. Ja, und was das Organisatorische anbelangt, da mache ich meine Arbeit und halte mich aus sportlichen Belangen heraus – dafür sind die Trainer da, was aber nicht heißt, dass ich nicht meine Meinung sage.

Doch eigentlich kommen Sie ja vom Boxen. Halt. Moment. Eigentlich hatten Sie in jungen Jahren gar nichts mit Sport, geschweige denn Leistungssport am Hut, oder?

Ja, ich habe weder geboxt, noch war ich Radsportler.

Sie saßen also nie auf dem Rennrad?

Doch, einmal im Trainingslager mit der SG Wismut. Das darf ich eigentlich gar nicht erzählen. Ich bin gestürzt, habe es keinem erzählt und bin ins Quartier geschlichen. Ja, es stimmt. Zum Sport bin ich als Lehrer gekommen. Ich komme aus der Großensteiner Ecke, habe einen Beruf erlernt, mein Abitur an der Volkshochschule gemacht und in Halle, heute würde man sagen, Geschichte auf Lehramt studiert und war als Junge vom Dorf eigentlich großstadtmüde, bedient, wollte als Lehrer auf dem Land anfangen. Doch dann kam das Angebot, die Sportlerklassen der SG Wismut in Gera zu unterrichten. Der Sportklub war 1973 gegründet worden, 1974 habe ich als Lehrer an der Schule neben der alten Erwin-Panndorf-Halle angefangen.

Wie das Leben so spielt.

Ich war gern Lehrer, war streng, aber gerecht zu meinen Schülern, die ja auch Leistungssportler waren so wie Enrico Richter oder Markus Beyer. Da lag es dann auch nahe, dass ich als Betreuer, damals hieß es Delegationsleiter, mit zu den Wettkämpfen der Boxer gefahren bin und wenig später auch schon meine ersten Berichte für die Zeitung geschrieben habe. Es war eine herrliche Zeit. Ich möchte nichts missen.

Aber einmal kamen Sie doch ganz schön ins Schwitzen. Stichwort Cottbus. Stichwort Qualifikationsturnier zur DDR-Spartakiade 1981.

Das werde ich nie vergessen, das wäre fast ins Auge gegangen. Als Delegationsleiter war ich mit nach Cottbus gefahren und als es ans Wiegen ging, dachte ich: Die Jungs, die an dem Tag nicht in den Ring mussten, die müssten ja auch nicht über die Waage und habe sie zum Frühstück geschickt.

Weit gefehlt?

Hans-Dieter Sprungalla, damals Beauftragter der Wett­kampf­kom­mis­sion im DDR-Boxverband, kam ganz aufgeregt zu mir, fragte: Wo bleiben die Geraer Boxer? Alle müssen über die Waage. Mir bliebt der Bissen im Halse stecken, der Appetit war mir vergangen. Die Jungs hatten sich das Frühstück schmecken lassen, da hatte keiner mehr sein Wettkampfgewicht.

Und wie kamen Sie raus aus der Nummer?

Ich habe den Sportlern alles erklärt, das Ding auf meine Kappe genommen und sie haben sofort angefangen, sich was überzuziehen, um sich zu bewegen, zu schwitzen. Für die ganze Aktion blieb uns nur eine halbe Stunde. Die Pfunde purzelten, die Zeit raste aber auch.

Und dann?

Dann ging es ans Wiegen, und die Jungs hatten doch noch das Limit geschafft – und ich war vielleicht erleichtert, wie Sie sich vorstellen können.

Im wahrsten Wortsinn?

(lacht) Ich habe auch geschwitzt bei der Aktion, bestimmt auch ein paar Pfunde abgeschwitzt.

Inzwischen sind Sie im Radsport angekommen, doch das Boxen ließ sie nie los. Mit Profibox-Weltmeister Markus Beyer waren Sie all die Jahre in Kontakt. Und dann die Nachricht von seinem Tod ...

... für einen Moment stockte mir der Atem. Ich war fassungslos. Als Markus zu uns an die Sportschule kam, war er 13 Jahre. Bis zu seinem Wechsel zum TSC Berlin sind wir uns fast täglich begegnet. Über die folgenden Jahre hatte man sich aus den Augen verloren, dennoch war jede meiner Begegnungen mit ihm von einer besonderen Herzlichkeit. Ja, er war ein großer Boxer, für mich persönlich ein äußerst sympathischer Mensch. Mit ihm habe ich einen wirklichen Freund verloren.

Da gibt es auch die Episode mit dem Begrüßungsgeld, die Fahrt nach Bayern.

Es war kurz nach dem Mauerfall. Es ging um die 100 Mark Begrüßungsgeld. Er fragte mich, ob ich mit ihm nach Bayern fahren kann. Klar für mich, keine Frage. Dass ich damit, eher doch eine Randfigur in seiner Karriere, in seiner Autobiografie „Mit Links und 40 Fieber“ einmal verewigt werden sollte, wer hätte das gedacht.

Mit der Wende kam das Ende für die SG Wismut Gera, der SSV 1990 Gera wurde als Nachfolgeverein mit den Abteilungen Boxen und Radsport gegründet. Seit 1997 und nun auch schon wieder 21 Jahre sind die Boxer nicht mehr im Verein. Ich kann mich noch gut an die Zweitligakämpfe erinnern, habe auch noch einige Exemplare des Boxkuriers, den Sie gemacht haben, im Schrank.

Das schmerzt mich noch heute, dass die Boxer aus dem Verein ausgetreten sind, manch einer sein eigenes Süppchen gekocht hat und auch nicht immer mit offenen Karten gespielt wurde. Ich möchte keine schmutzige Wäsche waschen, aber wir hatten in der SG Wismut und dann auch im SSV Gera etwas aufgebaut, waren erfolgreich, hatten mit Markus Beyer und Mario Loch Olympiastarter, die Kämpfe in der zweiten Bundesliga waren immer gut besucht in der alten Panndorfhalle. Mit dem Boxen ging es rapide bergab. Ich ziehe den Hut vor Jürgen Panse, Enrico Richter, Roby Meyer, dass sie den BC Wismut gegründet haben und versuchen, den Boxsport in Gera wieder aufzubauen.

Die Radsportler haben deutlich besser die Kurve bekommen. Der SSV Gera ist ein stabiler Verein, die Erfolge sprechen für sich und mit der Ostthüringen Tour hat der Verein ein Wettkampfformat für den Nachwuchs entwickelt, das seinesgleichen sucht. Die Tour war Ihre Idee?

Nicht meine Idee, der Anstoß kam von Rolf Riemann, der bei uns Nachwuchstrainer war. Es ging vor allem darum, Rennen für die Jüngsten, für die U11 zu organisieren. Aus der Idee haben wir die Ostthüringen Tour entwickelt, anfangs belächelt, doch jetzt können wir uns vor Anfragen kaum retten.

Die Ostthüringen Tour ist das Rennen für den Nachwuchs. Mit der Apres Tour Gera spannt der Verein den Bogen zu den Profis.

Ja, auch die Apres Tour Gera hat sich etabliert. Ist wichtig für den Nachwuchs. Zu meiner Zeit bei der SG Wismut, da wohnten die Nachwuchssportler und ich sage mal, die Großen, im Internat. Man sah sich, man kannte sich. Heute sind die Profis weit weg und bei der Apres Tour Gera kommen sie zusammen, und für den Nachwuchs ist es ein großer Tag, wenn sie am Vormittag ihre Rennen fahren, am Nachmittag die Profis beim Rennen beobachten können. Und wenn einer wie John Degenkolb dann die Siegerehrung in den Nachwuchsrennen macht – das ist doch was.

25 Jahre sind Sie jetzt Geschäftsführer im Verein, mit 67 sind Sie im Rentenalter …

… ja, mein Plan ist, dass ich bis 2021 weitermache, einen Nachfolger bis dahin in Ruhe einarbeite.

Am Anfang des Gesprächs sagten Sie, die 25 Jahre wären schnell vorbeigegangen, weil Sie das, was Sie machen, gern machen und weil der Verein Ihr Leben ist. Haben Sie Bammel vor der Zeit danach?

Überhaupt nicht. Ja, der Verein ist mein Leben, aber ich habe mir seit meiner Studienzeit meine Neugier erhalten, lese zu den Themen Geschichte, aktuelle Politik, Philosophie und Religion alles, was ich an Literatur bekommen kann. Mir wird es nicht langweilig werden.  (OTZ/Andreas Rabel)

siehe OTZ.de >>

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