Deutsch-deutsches Duell um acht

OTZ Gera / Andreas Rabel

07. Nov 2018

Gerald Mortag auf der Geraer Radrennbahn. Morgen wird der dreimalige Weltmeister 60 (Foto: Peter Michaelis)
Gerald Mortag auf der Geraer Radrennbahn. Morgen wird der dreimalige Weltmeister 60 (Foto: Peter Michaelis)



Interview der Woche: Gerald Mortag war dreimal Welt­meis­ter. Am Donnerstag wird er 60 und er spricht über sein WM-Debüt in Venezuela, warum Olympiasilber für ihn Gold bedeutet, was er von Meistertrainer Werner Marschner lernen konnte und warum ihn der Fußball nicht loslässt.


Unternehmen wir doch mal eine Zeitreise in den August 1977. Es geht nach Venezuela.
Das fällt mir nicht schwer. An die Weltmeisterschaften in San Cristobal kann ich mich noch genau erinnern. Ich war 18 und es war meine erste WM bei den Männern.

Im Finale der 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung gab es ein deutsch-deutsches Duell – früh um acht. Da wird eigentlich Kaffee gemacht und kein Rennen gefahren.
Die WM fand damals auf einer offenen Zementbahn statt. Und am Abend, als das Finale stattfinden sollte, hat es geschüttet – also wurde der Endlauf abgeblasen und auf den nächsten Morgen acht Uhr verlegt. Das ging dann auch gar nicht anders, weil am Sonntagabend schon der Rückflug gebucht war.

Also um acht?
Zu dieser frühen Zeit war kaum einer an der Bahn, das Finale fand sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Der DDR-Vierer mit Norbert Dürpisch, Matthias Wiegand, Volker Winkler und Gerald Mortag wurde Weltmeister. Der BRD-Vierer war zuvor dreimal Weltmeister und Olympiasieger gewesen, musste sich 1977 mit Silber begnügen. Eine Sensation?
Das war schon eine Überraschung, dass wir Weltmeister geworden sind, zumal wir auch recht deutlich gewonnen haben. Wir waren top vorbereitet.

Auch politisch?
Der Sport stand im Vordergrund, aber die Funktionäre haben uns schon drauf hingewiesen, dass das Finale etwas Besonderes ist, auch eine politische Dimension hat.

Das ist 41 Jahre her. Wir haben schon lange die deutsche Einheit. Ich kann meinen Kindern schon nicht mehr plausibel erklären, dass es im Weltsport deutsch-deutsche Duelle gab, dass darin so viel Brisanz steckte, hüben wie drüben.
Das war schon eine besondere Zeit, die ich nicht missen möchte. Als kleiner Junge vom Dorf, hatte ich die Möglichkeit bei der SG Wismut Gera Leistungssport zu betreiben, wurde gefördert, konnte in Leipzig an der DHfK studieren.

Wie sind Sie damals zum Radsport gekommen?
Als Kind konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als Fußball zu spielen. Meine Mutter wusste immer, wo sie mich suchen musste. Als ich 13 war, habe ich bei der Kleinen Friedensfahrt mitgemacht – und gewonnen. Auch beim Bezirksausscheid 1972 in Gera habe ich gewonnen. Ich hatte ein normales Fahrrad, da fuhren einige auch schon mit Rennrädern. Albrecht Scheunemann hat mich zur BSG Empor St. Gangloff geholt, er war mein erster Übungsleiter, hat sich sehr für mich eingesetzt, mich zu Hause in Renthendorf abgeholt, wenn es zum Training oder den ersten Wettkämpfen ging.

Als Sie das erste Mal das Geraer Zementoval sahen, war das nicht ohne?
Als ich die Kurven sah, war klar, das wird nie was. Und es passiert, was passieren musste – ich bin gestürzt. Mein Übungsleiter hat mir gut zugeredet, dann ging das schon.

Und 1974 trugen Sie dann das Trikot der SG Wismut Gera und Werner Marschner war der Trainer.
Es ging alles rasend schnell. Nach einem halben Jahr Training in Gera war ich schon in der Nationalmannschaft, fuhr 1974/75 in Berlin die Winterbahn und wurde im Sommer in der Schweiz Junioren-Vizeweltmeister mit dem Bahnvierer.

Dreimal in Folge, 1977, 78 und 79 wurden Sie Vierer-Welt­meis­ter, doch 1980 in Moskau reichte es nur zu Silber.
Nur Silber kann ich nicht unterschreiben. Für mich war es ein riesiger Erfolg, überhaupt dabei zu sein. Ich hatte vor den Spielen einen Bandscheibenvorfall, lag in der Klinik in Berlin und bin der Mannschaft hinterher geflogen und habe es geschafft, in die Mannschaft zu kommen.

Olympiasieger wurde der Gastgeber. Mit der DSF, der deutsch-sowjetischen Freundschaft, war es aber nicht weit her. Die UdSSR hat ihren Heimvorteil aber auch sehr ausgenutzt, oder?
Ja, das war so. Die Bahn-Wettkämpfe fanden in einer neuen Halle mit einem sehr schnellen Belag aus sibirischem Lärchenholz statt. Wir, wie alle anderen auch, durften vor den Olympischen Spielen nicht auf der Bahn trainieren. Aber man muss auch sagen, der UdSSR-Vierer war schon stark.

Zu einem deutsch-deutschen Duell konnte es in diesem Jahr bei Olympia aber nicht noch einmal kommen.
Ja, das bedauere ich sehr, dass meine aktive Zeit in die Boykotts der Olympischen Spiele fiel. 1980 war der Westen nicht in Moskau und wir durften 1984 nicht nach Los Angeles.

1985 haben Sie Ihre Laufbahn beendet, wurden Trainer. Werner Marschner hat Sie als sein Assistent aufgebaut.
Von Werner Marschner habe ich viel gelernt, das Herangehen im Training, die Methodik, aber mehr noch war es seine menschliche Art. Er hat uns zusammen gefaltet, wenn es sein musste – das wusste auch jeder, der Trainer hat recht. Doch er hat uns immer behutsam geführt, auch mal was weggelassen, wenn er gemerkt hat, das wird zu viel.

Mit der Wende wurde für Sie als Trainer auch vieles anders. Die SG Wismut Gera war Geschichte, der SSV Gera 1990 e.V. wurde gegründet. Sie wurden Stützpunkttrainer in Gera, bauten eine Bundesligamannschaft mit auf, knüpften ihrem Kollegen Peter Ganzenberg erste Kontakte zur Köstritzer Brauerei. Man konnte damals schon etwas bewegen?
Eine bewegte Zeit, im wahrsten Wortsinn. Olaf Ludwig und Jens Heppner waren zu den Profis gegangen. Mit Uwe Berndt, Sebastian Siedler, Marcel Barth und Sascha Damrow, später Jens Lehmann, hatten wir beim SSV Gera bis nach 2000 starke Bahnfahrer – mit Tina Liebig eine Junioren-Weltmeisterin. Wir haben eine Bundesligamannschaft aufgebaut. Es gab die Ostthüringer Radsporttage mit den Rennen in der Köstritzer Brauerei, und so entstand die Idee, dass die Köstritzer doch auch ein Team finanzieren könnten.

Das Team Köstritzer – eine Erfolgsgeschichte. John Degenkolb, André Greipel, Eric Baumann, Robert Wagner, Andreas Schillinger wie auch die Top-Bahnsprinter René Enders und Robert Förstemann stehen für die Arbeit beim SSV Gera. Doch 2009 kam für Sie ein beruflicher Einschnitt?
Ja, damit hatte ich anfangs so meine Probleme, das gebe ich zu. Es war beschlossene Sache, dass in Gera der Nachwuchs ausgebildet wird und die Sportler dann nach Erfurt wechseln. Seither betreue ich die Sportler der Altersklasse U17 – und das ist eine sehr schöne Aufgabe. Doch eins ist mir wichtig. Sie haben ja vorhin schon John Degenkolb und André Greipel angesprochen. Sicher, die beiden haben beim SSV Gera, bei mir trainiert. Doch ich möchte mich als Trainer nicht so wichtig nehmen. Ich hab‘ die beiden nicht erschaffen, habe sie auch nicht entdeckt und zum Radsport gebracht. Als Trainer ist man doch immer darauf angewiesen, dass an der Basis sehr gut gearbeitet wird. Ich sehe meine Arbeit als Trainer als eine Teamarbeit – so wie wir das beim SSV Gera von der Schul-AG über die U11 bis hinauf zur U17 handhaben.

Doch aufs Rad steigen Sie nicht mehr so gern (Lacht).
Sie meinen, weil ich seit Jahren viele Kilometer im Auto verbringe und die Sportler im Training und bei den Rennen begleite?

Genau.
Als ich 1985 mit dem Leistungssport aufgehört hatte, da war für mich ein Kapitel beendet, ich hänge den Zeiten nicht nach, lebe auch nicht von den Erinnerungen. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätte ich die alten Geschichten von San Cristobal und Moskau kaum wieder ausgepackt. Ich bin Trainer, das sehr gern, doch auf dem Rennrad saß ich seitdem vielleicht dreißig Mal.

Dafür geht es wie zu Kindertagen auf den Fußballplatz?
So ist es. Gleich nach dem ich mit dem Leistungssport aufgehört hatte, habe ich mich bei der BSG Elektronik Gera angemeldet und Fußball gespielt. Das hat mir auch geholfen, abzutrainieren, aber auch über die Jahre fit zu bleiben. Noch heute gehe ich mittwochs zum Training, bin bei den Alten Herren am Ball. Und wenn es meine Zeit erlaubt, dann fahre ich nach Jena, um mir die Spiele meines Lieblingsvereins FC Carl Zeiss Jena an­zu­schau­en. Ich finde klasse, was Trainer Marc Zimmermann in Jena leistet, dass er junge Spieler in die Mannschaft einbaut, sie fördert, mit ihnen arbeitet.

Da spricht der Trainer. Und morgen werden Sie 60. Ein Grund durchzupusten, zurückzublicken?
Ja, aber das mache ich für mich, wie wir auch in Familie feiern werden. Ich habe drei Kinder und fünf Enkel und genieße es, Zeit mit ihnen zu verbringen.  (OTZ/Andreas Rabel)

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