Heute vor 60 Jahren ertönte in Gera die Startglocke.
Was aus dem einstigen Schmuckkästchen bis heute geworden ist.

SSV Gera / Presse

26. Mai 2017

Dank der Entscheidung der Kampfrichter konnten die Zuschauer beim Steher- und Sprinterpreis am 18. September 2012 auf der Geraer Radrennbahn einen dreiminütigen Stehversuch zwischen Robert Förstemann und René Enders erleben.
Dank der Entscheidung der Kampfrichter konnten die Zuschauer beim Steher- und Sprinterpreis am 18. September 2012 auf der Geraer Radrennbahn einen dreiminütigen Stehversuch zwischen Robert Förstemann und René Enders erleben.

Der Geraer Radsport blickt auf eine äußerst erfolgreiche Tradition und zählt auch heute zur Kaderschmiede für die Entwicklung des bundesdeutschen Radsports. Aufs Engste verbunden ist diese erfolgreiche Entwicklung mit der Radrennbahn, die heute vor 60 Jahren, am 26. Mai 1957, feierlich eröffnet wurde.

Im Januar 1955 beauftragte der Leipziger Architekt Richard Lorenz Wese die Geraer Baufirma Regel Copp & Co. mit dem Bau einer 250-m-Zementpiste. Die Pläne für die Bahn mit Tunnel in den Innenraum gehen auf Entwürfe von J. Günter aus dem Jahre 1954 zurück.

Genau betrachtet, ist dies bereits die dritte Radrennbahn. Auf dem ehemaligen Schützenplatz in Gera-Debschwitz entstand 1934 eine 400-m-Erdbahn, auf der zahlreiche Radrennen stattfanden. Die Rekordbesucherzahl soll bei 22.000 Zuschauern gelegen haben, was den Wunsch nach einer Radrennbahn reifen ließ. Nicht nur, dass die Kriegsjahre diesen Wunsch verhinderten, wurde die Bahn sogar noch zerstört, indem sechs Bunker in den Hang getrieben und später Trümmer darauf abgelagert wurden.

In den Jahren 1946/47 begannen zwei Geraer Einwohner in einer privaten Initiative mit dem Versuch, doch noch auf dem ehemaligen Gelände des Schützenplatzes eine Radrennbahn zu errichten. Auch wenn fundierte Planungsgrundlagen fehlten, sollten ihre Bemühungen dann doch mit Erfolg gekrönt werden. Finanziert wurde das Projekt durch Aufbaugutscheine, die von einzelnen Geraer Betrieben gezeichnet wurden und durch eine Aufbaulotterie.

Nachdem die auf dem Gelände befindlichen Luftschutzbauten und Trümmermassen, die aus dem Stadtzentrum nach hier verbracht wurden, beseitigt waren, wurde mit dem Bau der 250-m-Bahn begonnen.

Es waren vor allem die Debschwitzer und die Mitglieder der neugegründeten BSG UNION, später Einheit Gera, die in mehr als 2500 Stunden eine Radrennbahn von sechs Meter Breite und 250 Meter Länge mit einem Schlackebelag bauten.

Bereits frühzeitig wurde deutlich, dass die Bahn in der vorgesehenen Form – die Kurven zu spitz angelegt und zu wenig erhöht – nicht wettkampftauglich sein würde. Aus diesem Grund und da das Vorhaben auf städtischem Grund ausgeführt wurde, beteiligte sich die Stadt Gera durch Einbindung der städtischen Produktivgenossenschaft am weiteren Ausbau. Die bisherigen Aufwendungen wurden von der Stadt übernommen. Die Anlage selbst wurde unter Orientierung an der Radrennbahn in Dresden Heidenau vollkommen umgebaut. Am 1. Oktober 1950 konnte die vorerst als Aschenbahn ausgeführte Radrennbahn eingeweiht werden. Ein Ausbau mit einer Betondecke scheiterte damals an den zu hohen Kosten.

Es war dem großen Zuspruch unter den Radsportlern und der Bevölkerung geschuldet, dass sich der Stadtrat Mitte der 50er Jahre mit der Planung für eine neue, den Anforderungen des Spitzensports entsprechende Radrennbahn beschäftigte.

Erneut mussten 3500 Kubikmeter Erde bewegt werden, bevor die 150 Kubikmeter Beton für die Fundamente einschließlich einer Stützmauer vergossen werden konnten. Die 1900 m² umfassende Fahrfläche – 250m lang, 7m breit, mit einer Kurvenhöhe von 38,5 Grad (4,60m) – verlangte eine 15 cm starke Kiesunterlage. Mehr als 3000 freiwillige Aufbaustunden wurden in diesen Jahren im nationalen Aufbauwerk geleistet. Mit dabei wie schon bei allen Rennbahnbauten Fritz Ständer, der mit 300 Stunden als bester Aufbauhelfer geehrt wurde.

Nicht weniger als 336000 Mark gab der Rat der Stadt für den ersten Bauabschnitt aus. Hinzu kamen weitere 300000 Mark für das später noch erbaute Sozialgebäude mit Fahrerlager sowie die Neuinstallation einer Bahnbeleuchtung. 1971 erfolgte eine Generalüberholung des Tribünenhangs und in der ersten Hälfte der 80er Jahre wurde der Belag nachgebessert.

Am 26. Mai 1957 war es dann soweit. Nach dem offiziellen Eröffnungszeremoniell gaben die Friedensfahrer Lothar Meister II und Helmut Stolper die Bahn für die folgenden Rennen frei.

Gut in Erinnerung für die alten Radsporthaudegen sind die zahlreichen nationalen und internationalen Großveranstaltungen wie der Große Preis der DDR, Deutsche Meisterschaften oder die Ländervergleiche, darunter 1958 zwischen der DDR und Ungarn mit 15000 Zuschauern. Genannt sei hier auch Omar Pachakadse aus der Sowjetunion, der vor dem Gewinn des Trikots des Sprintweltmeisters 1956 mit 12,0 s den Bahnrekord über 200m aufstellte. Legendär auch die Situation, als ihm beim Großen Preis der DDR im Sprint der halbe Lenker wegbrach und er dennoch bis ins Ziel fuhr.

Am 25. Juni 1968 gewann der Geraer Dynamo-Sportler Klaus Großmann beim Großen Preis der DDR auf seiner Hausbahn sein erstes internationales Steherrennen über 30 km (120 Runden) in der neuen Bahnrekordzeit von 30:23,8 Minuten. Er hatte mit seinem Schrittmacher Kretzsch (Leipzig) die Startnummer 1 gezogen und ließ sich aus dieser Position bis ins Ziel nicht verdrängen.

Zahlreiche Radsportgrößen gaben sich im Verlauf der Jahre ein Stelldichein auf der Geraer Bahn. Unter ihnen war auch die Präsidentin des englischen Frauenradsports, Mrs. Eileen Gray, die die Geraer Radrennbahn einst als ein „Schmuckkästchen“ bezeichnete.

Eine gute „Ehe“ gingen Geras Radsportler auch mit dem Kulturpark der Stadt ein, wo alljährlich auf der Bahn die Som­mer­film­tage und das Geraer Wald- und Dahlienfest stattfanden. Viele dieser Kulturveranstaltungen waren mit einem Radrennen verbunden und der Große Preis der Stadt Gera im Dauerrennen hatte einen festen Platz während dieser Veranstaltungen gefunden.

Mit der Gründung der SG Wismut Gera am 29. November 1973 wurde sichtbar, dass die Radrennbahn nicht mehr den qualitativen und quantitativen Anforderungen entsprach. Neben dem desolaten Zustand der Zuschauertraversen wies vor allem die Betonpiste zahlreiche Schäden auf. Im Zeitraum 1978/79 wurde deshalb eine umfangreiche Rekonstruktion der gesamten Anlage durchgeführt, bei der die Entwässerung der Traversen, eine Verbreiterung des Bahninnenrandes, der Bau eines Fahrerlagers im Innenraum und ein Anbau an das Funktionsgebäude ausgeführt wurden. Hohlräume, die durch Auswaschung unter der Bahn entstanden waren, wurden aufgebohrt und mit Beton verpresst. Danach wurde die Betonpiste 1979 sandgestrahlt und ein Epoxidharzbelag aufgebracht. Neu errichtet wurden die Beleuchtungseinrichtung, Anzeige und Ampelsteuerung, Zeitmessung und Beschallung. Die Übergabe an die Radsportler erfolgte am 3. Oktober 1979.

Seit dem Jahr 2000 sind an der Radrennbahn wieder zunehmend größere Schäden zu verzeichnen, die erneut eine grundlegende Sanierung bzw. einen Neubau erforderlich machen. Vorschläge für einen Neubau gab es in den vergangenen Jahren genug. Wie es sich zeigt, nur Bekenntnisse, bisher jedoch ohne Substanz. So bleibt es vorerst nur bei der Beseitigung der gröbsten Schäden, um den Trainings- und Wettkampfbetrieb aufrecht zu erhalten.

Verbessert haben sich dennoch einige der Rahmenbedingungen, vorwiegend durch das persönliche Engagement von Förderern wie auch durch den Ersatzneubau, für den durch das Juni-Hoch­was­ser 2013 im Sportkomplex Vollersdorfer Straße ver­nich­te­ten Kraft- und Athletikbereich.

Eng verknüpft mit dem 60-jährigen Bestehen der Radrennbahn ist die Entwicklung des Radsports in Gera. In vier Generationen haben mit Lothar Meister II, Jürgen Simon, Erhard Hancke, Volker Schönfeld über Gerald Mortag, Lutz Haueisen, Olaf Ludwig, Thomas Barth, Jörg Köhler bis hin zu Sebastian Siedler, Michael Seidenbecher, Marcel Barth, René Enders und Robert Förstemann viele erfolgreiche Radsportler auf dieser Bahn ihre ersten Schritte zur Weltspitze des Bahn- und Straßenradsports getan.

Sternstunden des Geraer Radsports auf dem Betonoval waren in den letzten Jahrzehnten die Verleihung der Ehrenbürgerwürde für Olaf Ludwig am 7. Oktober 1995, die Deutschen Jugend­meister­schaf­ten von 17. bis 20. Juli 2003, das 50-jährige Bahnjubiläum am 26. Mai 2007 wie auch die beiden Steher- und Sprinterpreise von 2012 und 2013.

Heute gehört das Betonoval überwiegend dem Nachwuchs mit der Wettkampfserie Geraer Nachwuchs-BahnCup sowie der bundes­weit einmaligen Sichtungsveranstaltung beim Geraer Tag des Radsports um den Olaf-Ludwig-Pokal, der sich am kom­men­den Dienstag zum zwölften Mal jährt.  (rs)



Bild Jahr 2012 von Reinhard Schulze, Gera
Bilder Historie von Paul Geßner, Gera

SSV-Bildergalerie / 60 Jahre Geraer Radrennbahn

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